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Mit Tourette Theater machen? Auf den ersten Blick scheint das unmöglich, schließlich ist kein Text sicher und keine Bewegung wiederholbar. Doch Helgard Haug von Rimini Protokoll beweist eindrucksvoll das Gegenteil. In ihrem Stück ›Chinchilla Arschloch, waswas‹ holt sie drei Menschen mit Tourette-Syndrom auf die Bühne: Christian Hempel, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, über die Krankheit aufzuklären, den Musiker und Altenpfleger Benjamin Jürgens und den Politiker Bijan Kaffenberger. Ihre Tics sind nicht steuerbar, Schimpftiraden und motorische Ausbrüche gehören zu ihrem Alltag. Gemeinsam mit der Musikerin Barbara Morgenstern unterziehen die drei Protagonisten das Theater einem Stresstest: Wie viel Absichtslosigkeit hält es aus? Wie viel Schutz kann es bieten, wenn die Bühne doch eigentlich für das Gegenteil geschaffen ist – für Präzision, Wiederholbarkeit, Kontrolle, Weltgeschichte und Spektakel? Und schnell wird klar: Hier geht es gar nicht nur um Tourette. Dieses Stück handelt vom Publikum, vom Theater und der Angst vor dem Kontrollverlust.
Die Autorin und Regisseurin Helgard Haug gründete vor 20 Jahren gemeinsam mit Stefan Kaegi und Daniel Wetzel das Theaterkollektiv Rimini Protokoll. Seitdem entwickeln die drei in unterschiedlichen Konstellationen unter diesem Label weltweit künstlerische Projekte. Rimini Protokoll wurden vielfach ausgezeichnet für ihre dokumentarischen Theaterstücke, Interventionen, szenischen Installationen und Hörspiele mit sogenannten ›Experten des Alltags‹. Sie erhielten u. a. den Mülheimer Dramatikerpreis, den deutschen Theaterpreis ›Der Faust‹, den Deutschen Theaterpreis Faust, den Europäischen Theaterpreis, den Silbernen Löwen der Theaterbiennale Venedig und den Deutschen Hörspielpreis. ›Chinchilla Arschloch, waswas‹ war zum Berliner Theatertreffen 2020 eingeladen. Die auf Basis des Theaterstücks entwickelte gleichnamige Hörspielproduktion gewann 2019 den Deutschen Hörspielpreis der ARD.
Das sagt die Presse:
»Es ist der seltene Moment, in dem Theater erklärt, ohne den Zeigefinger zu sehr auszustrecken. Eher ist da nur ein sanftes Streicheln.« (Theater heute)
»›Chinchilla Arschloch, waswas‹ ist darum kein Tourette-Stück. Es ist ein Stück über Tabubrüche, über Freiheit, über Einsamkeit, Selbstbewusstsein, die beruhigende Kraft von Musik. Es ist ein Stück über Voyeurismus, vorgegaukelte Toleranz und Empathie. Es ist phänomenal gut gemachtes, durchdachtes Theater, weil es berührt, irritiert, aufschrecken lässt, weil es mit Bekanntem so überrascht, dass man sich am Ende im besten Fall neu positioniert.« (Deutschlandfunk)
»Ein zauberhafter Theaterabend, der den drei Performern und der Musikerin Mittel an die Hand gibt, um das Format Theater zu strapazieren, zu dehnen, für sich zu nutzen.« (Spiegel Online)
Eine Produktion von Künstlerhaus Mousonturm, Schauspiel Frankfurt und Rimini Apparat, koproduziert vom Westdeutschen Rundfunk und HAU Hebbel am Ufer Berlin, gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser, durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain im Rahmen des Schwerpunkts ›Erzählung.Macht.Identität‹ und durch die Adolf und Luisa Haeuser-Stiftung für Kunst und Kulturpflege im Rahmen der Projektreihe UNLIMITED II zur Förderung exemplarischer Positionen zeitgenössischer Performing Arts
Mit Christian Hempel, Benjamin Jürgens, Bijan Kaffenberger, Barbara Morgenstern, Stefan Schliephake und Sven Lüders
Konzept, Text, Regie: Helgard Haug
Komposition, Musik: Barbara Morgenstern
Bühne: Mascha Mazur
Video: Marc Jungreithmeier
Lichtdesign: Johannes Richter
Dramaturgie: Cornelius Puschke
Tontechnik: Thorsten Löchl
Recherche & Künstlerische Mitarbeit: Meret Kiderlen
Videoassistenz: Lukas Lenfert
Produktionsleitung / Touring: Juliane Männel, Renée Merkel
Technische Leitung & Lichtdesign (Touring): Patrick Tucholski
Sounddesign (Touring): Torsten Schwarzbach
Regie-Assistenz (Touring): Desislava Tsoneva
Aufführungsrechte: schaefersphilippen Theater und Medien GbR
Musikrechte: Barbara Morgenstern © Maobeat Musikverlag/Budde Music Publishing GmbH
Hier erzählt Regisseurin Helgard Haug im Gespräch mit Festivalleiter Christof Seeger-Zurmühlen, wie das Stück ›Chinchilla Arschloch, waswas‹ entstanden ist und warum keine Vorstellung der anderen gleicht.