Wenn Menschen ihre Heimat verlassen und sich nach Europa aufmachen, bedeutet das einen radikalen Bruch in ihrer Lebensgeschichte. Freunde und Familien bleiben zurück, früher ausgeübte Berufe werden aufgegeben, Träume ändern sich. Auch das Leben von Junior, Lateef und Aloys aus Westafrika hat eine einzigartige Wendung genommen. Ihr Plan, in Europa Profifußball zu spielen, endete auf der Theaterbühne – als Mitglieder der Star Boys, einem Performance-Kollektiv aus Antwerpen.
– 23. Mai 2023
von Chika Unigwe
Der Originaltext des nigerianischen Autors Chika Unigwe wurde in englischer Sprache auf der Website africasacountry.com veröffentlicht.
Die jüngste Performance von Ahil Ratnamohan und dem Star Boy Collective, Reverse Colonialism!, ist beim asphalt Festival 2023 am 24. und 25. Juni im Weltkunstzimmer zu sehen.
Als der iranisch-niederländische Schriftsteller Kader Abdolah zum ersten Mal einem anderen iranischen Einwanderer gegenüber erwähnte, dass er in den Niederlanden Schriftsteller werden wolle, sagte sein Landsmann zu ihm: »Dein Traum ist groß, aber dieses Land ist klein.« Ein Nigerianer hätte ihm gesagt: »Schneide deinen Mantel nach deinem Stoff.«
Eine der häufigsten Erzählungen von Einwander:innen – insbesondere wenn ihre Reise sie aus dem globalen Süden in den globalen Norden führt – ist die von aufgegebenen Träumen und aufgegebenen Leben. Menschen, die ihr früheres Leben als Architekt:innen, Banker:innen, Ärzt:innen, Ingenieur:innen und Lehrer:innen aufgeben müssen, um in einem neuen Land als Putzfrauen, Arbeiter und Pflegerinnen neu anzufangen. Menschen, die manchmal ihre alten Identitäten aufgeben müssen, um eine neue Chance zu bekommen; Menschen, die Geschichten für Einwanderungsbeamte liefern, die eine Heirat aus Liebe gegen eine Vernunftehe eintauschen. Menschen, die wissen, was es heißt, Träume zu verändern, Träume einzudämmen und sie manchmal aufzugeben. Und wenn sie Glück haben und hartnäckig bleiben, gelingt es ihnen eines Tages, diese Träume wieder aufleben zu lassen. Aber das Problem bei der Wiederauferstehung ist, dass alles, was aufersteht, wahrscheinlich seine Form ändert.
Für die Star Boys, ein westafrikanisches Performance-Kollektiv mit Sitz im belgischen Antwerpen, wurde der Traum, in Europa Profifußball zu spielen, durch eine ungewöhnliche Form wiederbelebt: durch das Theater. Das Star Boy Collective entstand aus einem Projekt des sri-lankisch-australischen Theatermachers Ahilan Ratnamohan. Er wollte 2013 ein Tanztheaterstück mit in Belgien lebenden afrikanischen Fußballern entwickeln, das sich mit dem Phänomen des Menschenschmuggels im Fußball beschäftigt. Gegen das Versprechen von Verpflegung und 30 Euro pro Sitzung (drei Stunden Probe) rekrutierte Ahil seine ersten Schauspieler. Elf kamen zum Vorsprechen, acht schafften es und standen im späteren Erfolgsstück »Michael Essien I want to play as you« auf der Bühne. In den folgenden Jahren spielten insgesamt zwölf bei Aufführungen in Belgien, den Niederlanden, Deutschland, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich mit. Die Besetzung rotiert, ähnlich wie bei einer Fußballmannschaft, ein Spiegelbild ihrer unsicheren Situation, in der Gerichtsverfahren, Abschiebungen oder unterzeichnete Arbeitsverträge zur Folge haben, dass Ahil sich nicht darauf verlassen kann, dass ein Darsteller auf der Bühne steht, bis er ihn am Abend tatsächlich dort stehen sieht.
Von den fünfzehn Fußballern, mit denen Ahil gearbeitet hat, wurden drei abgeschoben, und einer hat es über einen Drittligisten in Portugal zu einem hochdotierten Vertrag bei einem der Topklubs in Angola gebracht. Die übrigen führen ein Leben zwischen Träumen, Hoffnungen und der Realität. Ich habe Etuwe Bright Junior, Lateef Babatunde und Aloys Kwaakum getroffen, drei der Star Boys, die in Belgien geblieben sind. Ihre Lebenswirklichkeit ist eindrucksvoller, als selbst sie es unter den gegebenen Umständen zu erwarten gewagt hätten.
Junior, geboren 1988 und aufgewachsen in Festac Town, einem Mittelklasse-Viertel in Lagos, Nigeria, wollte schon in der 10. Klasse Profifußballer werden. Er war nicht nur ein talentierter Spieler, sondern hat auch drei Brüder, die erfolgreiche Profifußballer bei Vereinen in Europa waren. Seine Eltern – der Vater Farmer, die Mutter Ladenbesitzerin – hätten es lieber gesehen, wenn er einen anderen Berufsweg eingeschlagen hätte, aber nichts konnte Junior von seinem ehrgeizigen Traum abbringen.
Mit 18 Jahren wurde er von einem Agenten gescoutet und nach Belgien gebracht. Dieser Agent suchte einen Spieler, der sofort einen Profivertrag erhalten konnte. Umso enttäuschter war er, dass der Verein, an den er Junior verkaufen wollte, ihn nicht direkt in die erste Mannschaft aufnehmen wollte. »Sie wollten mich sechs Monate lang als Ersatzspieler verpflichten. Mein Agent war damit nicht einverstanden.« Einen Monat und drei Wochen später war Junior zurück in Lagos.
Junior spricht sehr leise und er nimmt es mit Daten genauso genau wie mit seinem sorgfältig gestutzten Bart. Bei ihm gibt es keine Ungenauigkeiten. Doch beim Nacherzählen von Ereignissen ist er nicht ganz so detailliert. Ich frage mich, ob er aus der Not heraus gelernt hat, dies zu tun. Die Belgier verlangen Genauigkeit, selbst in lockeren Gesprächen. Junior hat die gesamte Prozedur durchlaufen, um »legal« zu werden, und ist mit Beamten konfrontiert gewesen, die präzise Daten und ein hohes Maß an Genauigkeit verlangen. Gleichzeitig hatte er in Gesprächen mit Journalisten und anderen Afrikanern gelernt, dass man vorsichtig sein muss, wenn man zu viele Informationen preisgibt.
Junior verbrachte ein Jahr und neun Monate in Lagos, bevor er mit einem anderen Agenten über Italien nach Europa zurückkehrte. Der neue Agent hatte den Ruf, alle seine Talente unter Vertrag zu nehmen. Wie Junior jedoch viel später herausfand, wurde er von einem anderen Agenten ausgebootet, der Spieler aus Afrika für das Zehnfache des Preises vermittelte. Dieser Agent verhandelte immer direkt mit den Mannschaftspräsidenten und arbeitete nicht mit anderen Funktionären zusammen. Junior hatte die Möglichkeit, bei einem Team in der 3. italienische Liga zu unterschreiben und sich als Student einzuschreiben, um den bürokratischen Aufwand zu erleichtern, aber Junior hatte kein Interesse an der Schule. Und wenn er nicht so erfolgreich werden würde wie versprochen, gab es auch keinen Anreiz zu bleiben. »Außerdem vermisste ich nach zwei Monaten Abwesenheit meine Freundin. Ich wollte zurückkehren«, fügt er mit einem breiten Grinsen hinzu.
2009 wurde Junior von einem nigerianischen Agenten nach Finnland geholt, um bei einem Team zu spielen, das ihm eine 70-prozentige Chance auf einen Vertrag garantierte. Doch nach zwei Wochen rief derselbe Agent an und forderte ihn auf, den Verein anzulügen, dass er unerwartet »nach Afrika« gehen müsse, aber in Wirklichkeit nach Belgien gehen solle, wo sein europäischer Kollege ihn bei einem besseren Team unterschreiben lassen würde. »Du bist eine Nummer zu groß für Finnland«, sagte er zu Junior. Junior befolgte seinen Rat. Er wurde in einem schönen Hotel in Charleroi untergebracht, aber in den zwei Wochen, die er dort verbrachte, wurde er nur einmal zum Training mit einer U13-Mannschaft mitgenommen. Er weiß nicht, was schiefgelaufen ist, aber er hat weder von seinem nigerianischen Agenten noch von seinem belgischen Kollegen je wieder etwas gehört. Junior verließ das Hotel und zog bei einem Freund in Antwerpen ein und versuchte, auf eigene Faust eine Mannschaft zu finden.
Die Mannschaft, die er schließlich fand, war nicht die, von der er geträumt hatte, aber eine, die ihm nach den früheren Enttäuschungen Respekt und Anerkennung gab. Eine Mannschaft, die aus afrikanischen Fußballern bestand, die von der Aussicht auf Erfolg in Europa angelockt und durch den Erfolg ihrer Landsleute, die in verschiedenen europäischen Ländern in der ersten Liga spielen, motiviert wurden – jedoch aus verschiedenen Gründen nicht den gleichen Erfolg erzielen konnten. Die Mannschaft trainierte jeden Morgen gemeinsam, und wenn sie Glück hatte, wurden einige von ihnen für ein »Cafévoetbalteam« ausgewählt – so nennt man in Belgien Amateurteams, die keinen Liga-Fußball spielen. Caféfußball-Mannschaften bestehen aus belgischen Männern mittleren Alters, die vor allem wegen der Kameradschaft kicken. Die Mannschaften werden in der Regel von kleinen Unternehmen unterstützt, und es ist nicht ungewöhnlich, dass die Teams zwei oder drei qualitativ deutlich bessere Spieler bezahlen, um das Spielniveau anzuheben. Bei diesen Spielern handelt es sich ausnahmslos um Afrikaner, die – wenn nicht im Ausland, dann in ihrem eigenen Land – Profi hätten werden können. »Man träumt, Profi zu werden, und landet in der 12. Liga«, sagt Junior.
Junior ist jetzt legaler belgischer Staatsbürger, aber es war nicht einfach, diesen Status zu erlangen. Er war in einer Beziehung mit einer nigerianisch-ghanaischen Frau mit belgischer Staatsangehörigkeit, die er hätte heiraten können, um den Weg zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern. Da er mit seiner Abhängigkeit von ihr nicht zurechtkam und wusste, dass es nicht »richtig« war, trennte sich Junior von ihr. Um jedoch in Belgien bleiben zu können, musste er beweisen, dass er ein produktives Mitglied der Gesellschaft war, indem er jeden Monat bei den städtischen Behörden vorstellig wurde und nachweisen konnte, dass er die erforderlichen Arbeitsstunden geleistet hatte.
In Anbetracht der Tatsache, dass es für einen schwarzen Ausländer mit rudimentären Sprachkenntnissen schwierig ist, Arbeit zu finden, war das eine ziemliche Herausforderung, sagt Junior. Seit 2015 ist er stolzer Besitzer eines belgischen Personalausweises. Im selben Jahr ging er mit dem Star Boy Collective auf Tournee, um in London aufzutreten – ein Privileg, das ihm zuvor verwehrt worden war. Entschlossen, in Belgien erfolgreich zu werden, nimmt er Niederländischunterricht (»Es ist nicht einfach, hier zu bleiben und nicht arbeiten zu können, nur wegen der ›Registrierung‹. Man kann nicht einmal in die Schule gehen!«). Er versucht, eine Balance zu finden zwischen seinen Träumen, Profifußballer zu werden, ein erfolgreicher Schauspieler zu sein und seiner Arbeit in einer DHL-Fabrik: »Ich würde gerne Theater spielen, aber die Gesellschaft gibt uns nicht die Möglichkeit dazu«.
Als Junior Ahil das erste Mal traf, misstraute er ihm, weil er wie ein Journalist aussah. »Man lernt hier, niemandem zu trauen.« Aber das Versprechen einer bezahlten Arbeit als Schauspieler war zu groß, um es ausschlagen zu können: »Es war der einzige ›schwarze‹ Job, den ich machen konnte«. Und so gab er Ahil eine Chance und entdeckte zu seiner eigenen Überraschung, wie viel Spaß ihm das Theaterspielen machte. Wenn Junior über Ahil und die Schauspielerei und seine Liebe dazu spricht, verschwindet die Mattigkeit in seiner Stimme. Seine Augen nehmen einen fast fiebrigen Glanz an.
Wenn er davon erzählt, dass er Ahil falsch eingeschätzt habe (»Ich dachte, er wollte uns mit unseren Geschichten vor den Weißen dumm aussehen lassen«), lächelt er entschuldigend. »Mir wurde klar, dass Ahil nur wollte, dass unsere Geschichten gehört werden.« Und das ist es, was ihm das Theater gegeben hat: eine Gelegenheit, seine Geschichte aus erster Hand zu erzählen, Mythen und falsche Stereotypen abzubauen, eine Chance, verstanden zu werden. »Weil die Leute einen nicht verstehen, urteilen sie leicht über einen. Sie denken, man sei faul, wolle nicht arbeiten, aber man hat keine Papiere. Wenn man auf einer Party drei Teller isst, denken sie, man sei gierig, aber man hat kein Geld für Essen«, sagt Junior. Er schenkt mir wieder sein typisches Lächeln und sagt: »Das Theater ist unsere Nationalmannschaft. Es hat mir geholfen, Frieden in mir selbst und in Europa zu finden.«
Kürzlich hat Junior eine Rolle im Fernsehen bekommen, er spielt in »Spitsbroers«, einem belgischen TV-Drama, das sich um einen großen Fußballverein dreht. Wenn er auf der Straße erkannt wird, schmeichelt ihn das sehr, aber um zu überleben, muss er immer noch das Jobcenter aufsuchen und auf Arbeit hoffen, während er darauf wartet, dass sein neuer Traum wahr wird und er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann.
Lateef teilt Juniors Hoffnung, eines Tages Profi zu werden. »Wenn Gott will, dass ich noch spielen werde, dann werde ich auch spielen«, sagt Lateef. Aber in der Zwischenzeit will er in erster Linie seine Familie ernähren und geht auch anderen Jobs nach, um sicherzustellen, dass es seinen Kindern an nichts fehlt. Er arbeitet in einer Fabrik. Auch er hat auch »Caféfußball« gespielt – er spielt, weil es ihm Spaß macht. Vom Theater hat er keine Ahnung, und das ist seine Stärke.
»Weil er nicht versucht zu schauspielern, wirkt seine Performance natürlich. Man bekommt Lateef pur auf der Bühne, keine Rolle«, sagt Ahil. Noch wichtiger ist, dass er schauspielert, weil es sich lohnt. Auch wenn Lateef gerne auftritt, ist es eher das Geld, das er damit verdient, als die Liebe zum Theater, die ihn bei der Stange hält. Noch bevor er seine Papiere erhielt, reiste er mit der Truppe mehrmals nach Deutschland, Holland und in die Schweiz, trotz des Risikos von Einreisekontrollen.
Lateef wird zu unserem Gespräch von seiner Tochter begleitet, einem hübschen Mädchen mit wildem, lockigen Haar. Die beiden lieben sich offensichtlich sehr. Er hat noch eine weitere Tochter, eine Siebenjährige, die von ihrer Mutter in Nigeria aufgezogen wird und mit der er regelmäßig telefoniert. Seine Tochter in Nigeria erfahre eine privilegiertere Erziehung als die Schwester in Belgien, stellt Ahil fest. Lateef schickt genug Geld nach Hause, um sicherzustellen, dass sie in einem Land, in dem das öffentliche Schulsystem mangelhaft ist, eine private Eliteschule besuchen kann. Lateef hat Nigeria für ein besseres Leben verlassen, aber es ist seine Tochter in Nigeria, die das »bessere Leben« genießt und die hoffentlich kein Wirtschaftsflüchtling werden muss. Die Ironie macht Ahil neugierig: die Tatsache, dass Lateefs Tochter, die in einem Entwicklungsland mit all den Vorteilen einer erstklassigen Ausbildung aufwächst, in Zukunft wahrscheinlich bessere Chancen haben wird als ihre Schwester, die in einem entwickelten Land aufwächst, in dem die Macht noch immer fest in den Händen der weißen Mittelschicht liegt.
Lateef ist ebenso diszipliniert wie engagiert. Seit 2010 ist er in Europa, zunächst mit einem nigerianischen Tournee-Team in Portugal, wo er Testspiele bestritt. Eines davon war gegen Sporting Lissabon, aber er wurde nicht engagiert, weil sein nigerianischer Agent eine höhere Ablösesumme verlangte, als ihm angeboten wurde, sagt Lateef. Anstatt nach Nigeria zurückgeschickt zu werden, rief Lateef seinen »Bruder« in Belgien an. Bei diesem »Bruder« handelte es sich um einen nigerianischen Landsmann, der – nach eigenen Angaben – ein erfolgreicher Spieler in Belgien war und Lateef in eine Mannschaft vermitteln konnte. Er lebte in Kortrijk und bot Lateef Kost und Logis an. Lateef reiste nach Belgien und musste feststellen, dass dieser »erfolgreiche Fußballspieler« in Wahrheit ein Asylbewerber war, der in einem Flüchtlingsheim untergebracht war, aus dem Lateef bei jeder offiziellen Kontrolle verschwinden musste.
»Ich streifte stundenlang durch die Straßen von Kortrijk, bis ich sicher war, dass der Regierungsbeamte weg war.« Aber das waren keine vergeudeten Stunden. Lateef lernte andere Afrikaner kennen, darunter einen Mann aus Ghana, der ihn in ein Hallenstadion mitnahm, wo er Fußball spielen konnte. Als er eines Tages trainierte, war ein weißer Mann, der zusah, so beeindruckt von Lateefs Fähigkeiten, dass er Lateef und seinem Freund eine Eintrittskarte für ein Spiel des lokalen Erstligisten KV Kortrijk schenkte. Er versprach, Lateef dem Trainer vorzustellen, aber nachdem er zwei Stunden auf den Mann gewartet hatte, ging Lateef wieder. Er bereut es immer noch. »Ich hätte warten sollen.«
In der Zwischenzeit wurde der Asylantrag von Lateefs »Bruder« abgelehnt und Lateef musste sich eine andere Unterkunft suchen. Ein befreundeter nigerianischer Fußballer, der in Antwerpen lebte, brachte ihn bei sich unter und nahm ihn zu den Trainingseinheiten mit. Eines Tages, als er mit diesem Freund unterwegs war, lernte er die Frau kennen, die heute seine Partnerin und die Mutter seiner Tochter ist. Doch der Weg zur Liebe (und natürlich auch zum legalen Aufenthalt in Belgien) war nicht einfach. Sie gingen eine Weile miteinander aus, trennten sich, und in dieser Zeit zog er für sechs Monate mit einer anderen weißen Freundin zusammen. Nachdem er wieder mit der ersten Freundin zusammenkam und plante, mit ihr zusammenzuziehen, wurde er von den »vremdelingen zaken« (Ausländerbehörden) verdächtigt, »strategische Beziehungen« zu unterhalten, also eine Belgierin heiraten zu wollen, nur um den Aufenthaltsstatus zu erhalten. Er wurde sechs Stunden lang von der Polizei befragt und erhielt 30 Tage Zeit, das Land zu verlassen. Lateef und seine Partnerin legten gegen den Abschiebungsbescheid Berufung ein. Ihr Fall wurde für die Behörden noch komplizierter, als seine Partnerin schwanger wurde …
Aloys ist kahl und glatt rasiert und sieht mit seinen 29 Jahren aus wie jemand, der das Leben genießen will. Man kann ihn sich gut auf der Bühne vorstellen, vielleicht sogar besser auf einer Bühne als auf einem Fußballplatz. Es überrascht mich nicht, wenn er zugibt, dass er Fußball als anstrengend empfindet. Aloys spricht Niederländisch, Französisch und Englisch und macht eine Ausbildung zum Techniker. Ahil beschreibt ihn als einen »Experten für das Überleben in Europa«.
Aloys kam vor acht Jahren über die kamerunische Fußballakademie, L’École de Football Brasseries du Cameroun, nach Europa. Er war einer von 22 Spielern, die für ein Turnier in Frankreich ausgewählt wurden. Die Spieler sollten nach dem Turnier nach Kamerun zurückkehren, aber Aloys wurde von einem Agenten abgeworben und überredet, nach Belgien zu gehen und dort zu spielen.
»Ich wusste nichts über den belgischen Fußball«, sagt Aloys, aber er wusste genug über Europa und über erfolgreiche afrikanische Spieler in Europa, um zu wissen, dass er bleiben wollte. »Und ich vertraute dem Agenten, weil er weiß war.« Der Agent versprach ihm, ihn für den RSC Anderlecht spielen zu lassen, und brachte ihn in einem Hotel unter, verschwand aber nach fünf Tagen.
Als Aloys merkte, dass der Agent nicht zurückkam, war er auf die Freundlichkeit von Fremden angewiesen. Für junge afrikanische Fußballer, die versuchen, in Europa zu überleben, ist das die Solidarität der schwarzen Gemeinschaft. Einer der Männer, die ihm halfen, war ein Togolese. Dieser Mann zeigte Aloys, wie er einen Asylantrag stellen muss, verwies ihn an die Einwanderungsbehörde und das Generalkommissar für Flüchtlinge und Staatenlose. So konnte Aloys bis zur Entscheidung über seinen Asylantrag in Belgien bleiben.
Die ersten sechs Monate verbrachte Aloys in einem Asylbewerberheim in einer belgischen Kleinstadt, um auf eine Entscheidung zu warten. Dort trainierte er auf eigene Faust, bevor er den Stress, den das Leben in Flüchtlingsheimen mit sich bringt, leid war. Er entschied sich, mit einem kleinen Taschengeld »draußen« zu leben. Dies gab ihm die Möglichkeit, das Land besser kennenzulernen, Menschen zu treffen, neue Freundschaften zu schließen und eine Beziehung mit einem einheimischen Mädchen einzugehen. Als sein Asylantrag abgelehnt wurde, war Aloys nicht so erschüttert, wie er es sonst vielleicht gewesen wäre. Seine Beziehung zu seiner Freundin, der Mutter seines Kindes, garantiert ihm das Recht zu bleiben. Er wurde von einem belgischen Agenten entdeckt, der ihm versprach, ihm ein Probetraining beim belgischen Verein Lierse SK zu verschaffen. Er erhielt schließlich einen Halbprofi-Vertrag, aber sein unsicherer Status im Land führte zu Komplikationen und schränkte sein Weiterkommen im Verein ein.
Seit er den Lierse SK verlassen hat, hat Aloys eine Reihe von Probetrainings bei belgischen Provinzvereinen sowie in Rumänien und England absolviert, aber es scheint, dass sein Fußballtraum der Vergangenheit angehört und er mehr in seine Schauspielkarriere investiert. Seine Familie ist aus der Heimat vertrieben worden und die meisten Mitglieder sind in die Vereinigten Staaten umgezogen, so dass eine Rückkehr nach Kamerun für ihn keine attraktive Option ist.
Es hat etwas Herzzerreißendes, wenn junge Afrikaner glauben, dass sie in den Norden auswandern müssen, um zu überleben und ein besseres Leben zu führen. Ihre Hoffnungen hängen von den Versprechungen von Männern ab, für die ihr Leben eine Handelsware ist, von Mauern und Zäunen und dem realen Risiko, bei der Überquerung des Mittelmeers zu sterben. Dennoch liegt ein gewisser Trost in ihrer Bereitschaft, sich zu ihrem Leid zu bekennen, und in ihrem Wunsch, die Wahrheit über die Bedingungen des Überlebens in Europa zu erzählen.
Hier trifft das Igbo-Sprichwort zu: »Ekwue ma anughi mere nwata, mana afu ma ekwughimere okenye.« Ein Kind ist ruiniert, wenn es nicht zuhört (auf das, was ihm gesagt wird), aber ein Erwachsener ist ruiniert, wenn er nicht spricht (über das, was er gesehen hat).