»Our Son« spielt in einem Wohnzimmer in Serbien. Der homosexuelle Sohn ist schon erwachsen, lebt so weit weg wie möglich und kommt zu Besuch nach Hause. Die Eltern lieben ihr Kind, finden aber einfach keinen Weg, seine Homosexualität zu akzeptieren. Wer trägt die Schuld daran, dass ihr Sohn nicht »wie der Rest der normalen Welt« ist? Hat sich der Vater nicht genug um ihn gekümmert? Liegt es daran, dass die Mutter ihn zum Chor geschickt hat? Und der Sohn möchte einfach nur seinen Freund vorstellen …
– 20. Juni 2024
Der kroatische Autor und Regisseur Patrik Lazić über die Entstehungsgeschichte seiner autobiographisch gefärbten Erfolgsproduktion »Our Son«, Ratgeberliteratur zu Konversionstherapien und Publikumsreaktionen.
asphalt zeigt »Our Son« am 15. und 16. Juli 2024 jeweils um 18:30 Uhr im 34OST im serbisches Original mit deutschen und englischen Übertiteln.
Die Idee, dass Homosexualität »geheilt« werden könne, gibt es schon seit langem, aber erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich die Vorstellung durch. Ursprünglich wurde die Homosexualität als Erbkrankheit betrachtet und mit Hysterie, Epilepsie und Schizophrenie gleichgesetzt. Die Behandlungs- und Umerziehungsmethoden, die damals häufiger auf Lesben angewandt wurden, fanden in Anstalten statt, in denen Mädchen oft sexuell missbraucht und vergewaltigt wurden. Wenig später wurden »schwule Bakterien« für die Homosexualität verantwortlich gemacht, so dass die »unerwünschte« Anziehungskraft schwuler Männer durch die Transplantation von Hoden beseitigt werden sollte.
Sigmund Freud vertrat die Auffassung, dass alle Menschen ursprünglich bisexuell sind und erst im Verlauf psychosozialer Prozesse heterosexuell werden. Demzufolge sei eine medizinische Behandlung der Homosexualität »sehr schwierig oder fast unmöglich«. Freuds Brief an die Mutter eines schwulen Sohnes (1935) ist bekannt: »Homosexualität ist kein Vorteil, aber sie ist auch nichts, wofür man sich schämen müsste«, schreibt er. Freud erklärteder Frau, dass Homosexualität nicht als Krankheit, sondern als eine Variante der Sexualität betrachtet werden könne, und er sehr skeptisch sei, was die Ergebnisse einer Behandlung angeht. Obwohl Freud die Möglichkeit offenlässt, dass er in ihrem Sohn die »Keime der Heterosexualität« entwickeln könne, ist er der Meinung, dass es besser wäre, ihn mit Hilfe der Psychoanalyse glücklicher und weniger neurotisch zu machen, ob er nun homosexuell bliebeoder nicht.
Im Gegensatz zu Sigmund Freud betrachteten spätere Psychoanalytiker Homosexualität als pathologische Perversion des Ödipuskomplexes, und so folgten zwischen Freuds Tod und der endgültigen Streichung der Homosexualität aus der Liste der Krankheiten (1973) viele Jahre mit verschiedenen Versuchen und Behandlungsmethoden. Oft wurde versucht, Männer mit Lobotomien, Eisbädern, Hormonen, Kastration, Sterilisation, Erbrechenstherapie, Elektroschocks zu heilen. Wie in dem Film »A Clockwork Orange« wurden den Patienten homosexuelle Inhalte vorgespielt und dann Medikamente zum Erbrechen injiziert, um Ekel vor dem Gespielten zu entwickeln. Das gewünschte Ergebnis wurde in den meisten Fällen erzielt, aber erzeugte auch Ekel vor allen Formen von Sexualität und sexuelle Frustration. Ähnliches wurde mit Elektroschocks an männlichen Genitalien versucht, wenn sie durch den »falschen Reiz« erregt wurden, was ein Versuch war, Homosexuelle wie Bären und Hunde in Experimenten reflexartig zu konditionieren.
Jahre nachdem Homosexualität von der Liste der psychischen Störungen gestrichen worden war, wurden verschiedene pseudowissenschaftliche Therapien in psychologischen Praxen, isolierten Lagern und religiösen Gemeinschaften weitergeführt. Meistens schickten die Familien Kinder und Jugendliche zur Behandlung, wo sie Demütigungen, traumatischen Manipulationen oder Gewalt ausgesetzt waren. Obwohl keine der genannten Methoden jemals erfolgreich war oder wissenschaftlich bewiesen wurde, obwohl sie fast immer Depressionen, Ängste, Schuldgefühle und Entmenschlichung, Selbstmordgedanken und -versuche hervorriefen, gibt es immer noch Menschen, die die Behandlung von Homosexualität befürworten oder aktiv durchführen. Es gibt eine kleine Anzahl von Ländern, die die Durchführung von Konversionstherapien strikt verbieten, doch mit der Ausbreitung von Selbsthilfebewegungen ist jedoch eine Reihe von Ratgeberliteratur zur Heilung von Homosexualität entstanden. Mit einem solchen Buch, das in Buchhandlungen im Psychologie-Regal zu finden ist, beschäftigen wir uns in dem Stück »Our Son«
Ich betrachte mein Projekt »Our Son« als einen Versuch, meine Sexualität zu verstehen. Indem ich mit autobiografischen Elementen und denen meiner Familie spiele – an der Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion –, wende ich verfügbare psychologische und »parapsychologische« Theorien an, um die sexuelle Identität zu verstehen, mit der ich heute lebe. Mit viel Humor, Ironie und Witzen auf unsere eigenen Kosten bieten wir den Zuschauer*innen eine intime Theatererfahrung in einem nicht-traditionellen Bühnenraum, in dem sie Zeuge eines fiktiven Treffens von Mutter, Vater und Sohn werden. Hier werden Rechnungen beglichen und (un)verheilte Wunden, (un)befriedigte Bedürfnisse und Ängste in Frage gestellt. Warum sollten Sie sich das ansehen? Vielleicht können Sie in meinem Schweigen all das finden, was in Ihren Familien unausgesprochen ist, vielleicht können Sie in meinen Dilemmas Ihre eigenen roten Linien erkennen, und vielleicht können Sie in meiner Ehrlichkeit Ihre eigene Bereitschaft für die neue Zeit hinterfragen, die bereits gekommen ist.
»Our Son« entstand für das Heartefact Pride Theater Festival, das während der Pride Week im Rahmen der EuroPride 2022 in Belgrad stattfand. Für in- und ausländische Gäste wurde das Stück mehrmals aufgeführt und bekam sehr positiven Kritiken, was beweist, dass die Produktion über das lokale und regionale Thema hinausgeht und eine universell verständliche Geschichte über Akzeptanz und Erwartungen ist. Das Stück wird weiterhin regelmäßig in Belgrad aufgeführt, außerdem wird es zu internationalen Gastspielen eingeladen. »Our Son« trägt nicht nur dazu bei, einen offenen Raum für Vielfalt zu schaffen, sondern auch die EuroPride in Belgrad bekannter zu machen – die erste EuroPride in diesem Teil Europas und außerhalb der Europäischen Union, die es trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse geschafft hat, sich zu behaupten und ein toleranteres und aufgeschlosseneres Belgrad und Serbien zu zeigen.
Das Stück wurde ursprünglich in einer Belgrader Wohnung aufgeführt, um das Publikum buchstäblich in den Privatbereich einer Person eindringen zu lassen. Dieses Konzeptentspringt meiner Erfahrung, dass es bei Gesprächen über das Thema Homosexualität oft ein großes Bedürfnis gibt, in die intimsten Bereiche des Lebens des anderen zu blicken. Darüber hinaus ermöglicht die Konstellation, bei der das Publikum und die Schauspieler im selben Wohnzimmer sitzen, in der das Publikum die Suppe und die Lasagne riechen kann, eine stärkere emotionale Erfahrung. Es gibt aber auch eine Version für Theater- und Tanzsäle, bei der das Stück vor etwa hundert Personen gespielt werden kann. In dieser Version [die beim asphalt Festival gezeigt wird] umgibt das Publikum die Schauspieler*innen auf drei Seiten und begrenzt so den Spielraum.
Nach jeder Aufführung erreichen uns aufrichtige, emotionale und oft ergreifende Nachrichten aus dem Publikum. Ich möchte eine davon mit Ihnen teilen, wobei wir die Privatsphäre und die Identität des Absenders wahren:
»Es hat einige Zeit gedauert, bis ich nach dem Stück wieder zur Vernunft gekommen bin. Ich wollte Ihnen für das, was wir gesehen haben, danken. Als jemand, der schon lange nicht mehr mit seiner Mutter gesprochen hat, weil sie meine Sexualität nicht akzeptieren kann, waren diese Dialoge unsere Dialoge. Dieser Austausch, das Schweigen, die Ablehnung… Es ist, als ob ich mein Leben beobachtet hätte. Und es gibt keine Erleichterung, außer die Verhaltensmuster und den gemeinsamen Schmerz zu erkennen, in denen sich Familien wie diese befinden. Nach der Vorstellung bin ich nach draußen gegangen, um die Ecke gebogen, haben mich auf eine Bank gesetzt und geweint. Mir ist jetzt klar, dass die Unfähigkeit zur Akzeptanz mir alles sagt, was ich wissen muss.«