Das asphalt Festival fördert und begleitet die Arbeit von Regisseur Helge Schmidt langfristig. Sein mit dem Theaterpreis DER FAUST ausgezeichnetes Stück »Cum-Ex Papers« war bereits 2019 bei uns zu sehen, »Tax for free« folgte 2021, in Koproduktion mit asphalt. In seiner aktuellen Arbeit »Die Krebsmafia«, die im Mai 2022 am Hamburger Lichthof Theater uraufgeführt und ebenfalls vom asphalt Festival koproduziert wurde, befasst sich Helge Schmidt mit dem systemischen Versagen des Gesundheitswesens und Profitstreben im Zusammenhang mit der Behandlung von Krebspatient:innen.
– 25. Mai 2022
Wie wollen wir leben? Und wie wollen wir sterben?
Helge Schmidt im Interview über »Die Krebsmafia«, den Zusammenhang zwischen Theater und Journalismus und welche Stoffe auf der Bühne noch Relevanz haben.
Wie bist du auf das Thema aufmerksam geworden?
Helge Schmidt: Ich habe mich mit [dem investigativen Journalisten] Oliver Schröm getroffen, um über die aktuellen Entwicklungen rund um Cum-Ex zu sprechen, worüber wir zwei Stücke gemacht haben. Im »gemütlichen Teil« des Gesprächs erzählte Oliver dann von neuen Informationen aus dem Bereich Onkologie, ich von meiner Suche nach einem neuen Thema für ein Stück. Und, ja, so einfach ist das dann manchmal – das eine kam zum anderen.
Was hat dich bei der Recherche am meisten überrascht?
Helge Schmidt: Eindeutig das Ausmaß. Das Buch »Die Krebsmafia« beginnt mit, salopp gesagt, Steuertricks, an die man sich ja eigentlich längst gewöhnt hat. Aber dann wird es immer größer. Apotheker:innen sind beteiligt, Ärzt:innen. Die Halbgötter in Weiß. Patient:innen sterben, Menschenleben werden riskiert. Und das ist für mich der krasseste Unterschied zu den Steuerthemen, die mich zuletzt begleitet haben. Die Opfer sind bei der »Krebsmafia« nicht abstrakt. Es ist nicht »Der Steuerzahler«, der hier geschädigt wird. Sondern Siegmar Bogen und der ist tot.
Krebs ist ja kein Thema, mit dem man sich gern beschäftigt. Was erhoffst du dir für diesen Theaterabend?
Helge Schmidt: Natürlich geht es in dem Abend um Krebs. Aber die eigentliche Frage ist ja: Wie kann es sein, dass wir kein System erschaffen haben, in dem Patient:innen die beste Medizin und die fürsorglichste Betreuung bekommen – sondern einen Markt, der Kranke als »Kunden« bezeichnet und Gesundheit zur Ware macht. Es geht dann schon darum, ganz bodenständig aufzuklären, aber »nur« das wäre vielleicht auch zu wenig. Mich interessiert die systemische Dimension und nicht der Skandal. Das unterscheidet Theater dann auch fundamental von investigativem Journalismus. Wir teilen eine Zeit und einen Raum mit dem Publikum. Und dieses Teilen von Raum und Zeit ist eine demokratische Erfahrung. In dem Raum wollen wir die Frage verhandeln: Wie wollen leben? Und auch: Wie wollen wir sterben?
Warum wählst du so oft die ganz großen Themen?
Helge Schmidt: Ich finde, dass die großen gesellschaftlichen Themen, die ich auf die Bühne gebracht habe, Potenziale haben, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen, die unterschiedlichen Bubbles entspringen. Ob Konservative, Liberale oder Linke – die meisten lehnen ab, dass finanzielle Interessen Einzelner über Leben und Tod von Krebskranken stehen. Wir haben in unseren Produktionen die Erfahrung gemacht, dass unterschiedliche Milieus mit Entwicklungen unserer Gesellschaft unzufrieden sind und darüber reden wollen. Und dazu möchten wir einladen.
Du hast Dich in den vergangenen Jahren geradezu darauf spezialisiert, journalistische Recherchen zu komplexen gesellschaftlichen Themen bühnentauglich zu machen. Was gefällt dir daran?
Helge Schmidt: Ich denke, dass sowohl der Journalismus als auch die geförderten Bühnen in einer andauernden fundamentalen Krise stecken. Der Journalismus verliert Aufmerksamkeit an digitale Konkurrenz. Als Antwort darauf ist ein Reflex entstanden, sich in Clickbaits zu stürzen. Die Schlagzeile dominiert die Story. Dem Theater fehlt es an neuem (jüngeren) und diverserem Publikum. Es hat Reformen und Erneuerungen um Jahrzehnte verschlafen. Statt diese endlich anzugehen, verliert man sich in Ersatzdebatten, um die immer gleichen Privilegien zu schützen. Das Publikum spürt das und verliert noch einmal das Interesse. Ich denke, dass Journalismus und Theater einander etwas zu bieten haben. Journalist:innen haben Themen und Texte, die Menschen interessieren. Theater haben Formen, Ästhetiken und Räume, die es erlauben, Geschichten jenseits von News und »Ist das krass« erlauben.
Siehst du ein verbindendes Element zwischen den Stücken »Cum-Ex Papers«, »Tax for free« und »Die Krebsmafia«?
Helge Schmidt: Wir versuchen in allen drei Stücken unsere kleinen Analysen von Ausschnitten der Gesellschaft zu liefern: erst Wirtschaft, dann Politik und nun das Gesundheitswesen. Neben inhaltlichen und motivischen Verbindungen – es geht in allen um Geld, Betrug, Moral und Gier – entsteht die Verbindung für mich im Publikum. Wir wollen was von denen und wir haben was zu erzählen.
Oliver Schröm wurde für seine Arbeit verklagt – hast du Sorge, dass dir das auch passieren könnte?
Helge Schmidt: Ich hoffe darauf, dass Theater nicht relevant genug ist, um mit Anwält:innen Aufmerksamkeit zu generieren, die wir sonst gar nicht bekommen können. Aber jenseits der finanziellen Risiken von Prozessen wäre es natürlich interessant zu wissen, wie Gerichte die Kunstfreiheit beim Umgang mit journalistischen Themen schützen würden. Das ist ja keine ganz gewöhnliche Kunst. Und die Leute, um die es bei uns geht, sind ja zum Glück auch eher Kunstmäzen:innen als Kunstverhinderer:innen.
Das Interview führte Dramaturgin Franziska Bulban.
Regisseur Helge Schmidt (*1983 in Schwerin) studierte in München Theaterwissenschaft, Psychologie und Neuere Deutsche Literatur. Er war Regieassistent am Thalia Theater Hamburg, seit der Spielzeit 2014/15 arbeitet er als freier Regisseur. Die 2018 mit dem Recherche-Kollektiv CORRECTIV entstandenen »Cum-Ex Papers« wurden mit dem Deutschen Theaterpreis DER FAUST ausgezeichnet. Seine Arbeiten wurden mehrfach zu Festivals eingeladen.